Wir bleiben dabei: Der Straftatbestand des „Fahrens ohne Fahrschein“ muss gestrichen werden. Stattdessen braucht es ein Null-Euro-Sozialticket und den kostenlosen ÖPNV! Bis dahin fordern wir den Freiburger Gemeinderat auf: Weisen Sie die VAG an, keine Strafanzeigen beim „Fahren ohne Fahrschein“ zu stellen!
Stellungnahme VAG | Stellungnahme RAV Keine Strafanzeige bei Fahren ohne Fahrschein | Offener Brief aks: Armut darf nicht bestraft werden! | Email-Aktion |
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Armutsbestrafung ist ein reales und drängendes Problem. In unserem offenen Brief vom Juli 2022 beschreiben wir anhand des „Fahrens ohne Fahrschein“, wie Armut bestraft wird und Armut weiter verstärkt. Zudem stellten wir eine Anfrage an die Freiburger Verkehrs AG (VAG). Dies hier ist eine Stellungnahme zum Antwortschreiben der VAG vom 21.November 2022.
Die VAG kann entscheiden, ob sie Strafanzeige stellen möchte
Knapp 9.000 Menschen konnten im Jahr 2021 im Netz der VAG bei Kontrolle keinen Fahrschein vorlegen. In 1.900 Fällen (also knapp einem Fünftel) wurde eine Strafanzeige gestellt.
Eine Strafanzeige sei laut Schreiben der VAG verpflichtend, wenn die Polizei zur Adressermittlung hinzugezogen wird – das heißt in Fällen, in denen die Person ohne Fahrschein kein Ausweisdokument vorlegen kann. Diese Fälle betreffen verstärkt Menschen in prekären Lebenslagen und ohne Geld. Denn gerade Menschen mit wenig Geld haben teilweise keine gültigen Ausweispapiere. Die Beantragung von Ausweispapieren kostet Geld, auf der Straße gehen Papiere verloren, manche sind überfordert mit der Bürokratie oder haben Fiktionsbescheinigungen, die nur wenige Zeit (1-3 Monate) gültig und schnell abgelaufen sind. Die VAG betont, dass im Falle einer Identitätsklärung durch die Polizei zwingend Anzeige erstellt werden müsse. Doch auch hier hat die VAG Handlungsspielräume: Die Entscheidung, die Adressermittlung zu verfolgen und die Polizei zu rufen – und damit der erste Anstoß – liegt immer noch bei der VAG.
Eine Strafanzeige müsse auch gestellt werden, wenn die Polizei „zu brenzligen Situationen“ hinzugezogen werde, heißt es weiter. Doch wie oft kommt es „auch mal zu brenzligen Situationen“ wie es in der Stellungnahme beschrieben wird? Und welchen Anteil machen diese tatsächlich an den gestellten Strafanzeigen aus?
Auch im Wiederholungsfall – wenn noch offene Forderungen bestehen oder ein Fahrgast wiederholt erwischt wurde – werde Strafanzeige gestellt. Eine Person in Geldnot hat nach der ersten Kontrolle ohne Ticket aber nicht plötzlich mehr Geld für Tickets. Als Abschreckungs- oder „negative Signalwirkung“ ist eine Anzeige für armutsbetroffene Menschen also nicht wirksam. Sie treibt Menschen eher noch weiter in die Armut.
In ihrem Schreiben betont die VAG, mit „‘Fingerspitzengefühl‘ mit dem Instrument ‚Strafanzeige‘“ umzugehen. Erschwerend sei aber, dass „‘Armut‘ – glücklicher Weise – in sehr vielen Fällen nicht ersichtlich ist“. Unglücklicherweise ist Armut damit aber auch unsichtbar. Aus diesem Grund kann es nur schiefgehen, wenn die Entscheidung gegen eine Strafanzeige von einer Art „Armuts-Bewertung“ des Prüfpersonals abhängig ist.
Wir finden: Menschen für ihre Armut zu bestrafen treibt sie noch weiter in die Armut. Daher: Keine Anzeigen beim Fahren ohne Fahrschein mehr!
Lücken des Sozialtickets
In ihrem Schreiben bezieht sich die VAG auf den Verband Deutscher Verkehrsunternehmen. Statt das „Fahren ohne Fahrschein“ zu entkriminalisieren soll laut diesem lieber Mobilität für Empfänger*innen von Sozialleistungen verbilligt werden. Was in der Theorie nachvollziehbar klingt, offenbart in der Praxis enorme Lücken.
Das Sozialticket ist für Anspruchsberechtigte wie Behörden aufwendig. Für den Erhalt eines Sozialtickets muss ein separater Antrag gestellt werden, der durch die jeweiligen Behörden geprüft wird. Wir kennen Fälle, in denen Menschen über Wochen keine Gutscheine für das Sozialticket bekommen haben, weil Jobcenter, Sozialamt oder Wohngeldstelle es nicht rechtzeitig geschafft haben, den Antrag auf das Sozialticket zu bearbeiten. Auch um Behörden und Verwaltung zu entlasten wäre es eine enorme Erleichterung, wenn der Gutschein für das Sozialticket automatisch beim Zusenden des Leistungsbescheides beigelegt wird.
Dafür muss aber trotzdem erst ein Bescheid vorliegen. Aktuell ist zu befürchten, dass die Bearbeitungszeiten neuer Wohngeldanträge aufgrund deren hoher Zahl und des Personalmangels monatelang dauern könnten. Menschen, die wohngeldberechtigt sind, haben in dieser Zeit zwar eigentlich Anspruch auf das Sozialticket, haben aber wegen des fehlenden Bescheids keine Möglichkeit dieses zu erhalten oder eventuelle Kosten nachträglich rückerstattet zu bekommen. Zudem gilt: Auch für Fahrten mit dem Sozialticket muss ein Ausweis vorgelegt werden und das Sozialticket schließt Hunde nicht mit ein.
49€-Ticket: Keine Entlastung für Menschen mit wenig Geld
Die bisherigen Pläne durch ein 49€-Ticket, Mobilität zugänglicher und den ÖPNV erschwinglicher zu machen, sehen für Menschen mit wenig Geld nicht wirklich vielversprechend aus. Das 49€-Ticket soll nur im Abo bezogen werden können, personen-/ausweisgebunden gelten und auch nur online erhältlich sein. Das setzt ein Bankkonto und Internetzugang voraus, wie die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe kritisiert – aber auch einen Ausweis, ein funktionierendes mobiles Endgerät und finanzielle Stabilität. Zudem sind 49€ für viele schlichtweg zu teuer. Damit auch Menschen mit wenig Geld von einem bundesweiten Ticket profitieren und sich die Zwei-Klassen-Mobilität nicht weiter fortsetzt, braucht es zumindest ein verbilligtes bundesweites Sozialticket, welches für Null Euro erhältlich ist.
Unsere Forderungen an den Gemeinderat und die VAG
Kostenloser Nahverkehr hilft! Der Anteil der Personen, die bei Kontrolle im Netz der VAG keinen Fahrschein vorweisen konnten, ist 2022 laut dem Schreiben der VAG im Vergleich zu Vorjahren um knapp die Hälfte gesunken. Bundesweit zeigt sich ähnliches – maßgeblich wegen des 9-Euro-Tickets.
Nutzt eine armutsbetroffene Person den ÖPNV ohne Fahrschein, muss sie aber immer noch mit einer für sie unverhältnismäßig hohen Strafe und im schlimmsten Fall einer Ersatzfreiheitsstrafe rechnen. Nur wenn der Nahverkehr wirklich kostenlos ist, wird das Armutsdelikt „Fahren ohne Fahrschein“ vollständig verschwinden.
Statt Armut zu kriminalisieren, braucht es einen kostenlosen Nahverkehr! Das wäre wirklich nachhaltig wirksam – im ökologischen wie sozialen Sinne. Bis dahin fordern wir: Folgen Sie dem Beispiel von Bremerhaven! Keine Strafanzeigen beim „Fahren ohne Fahrschein“!
Hintergrund: Fahren ohne Fahrschein
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